Wegen der folgenden Aktionen des Zivilen Ungehorsams (Punkte 1 bis 7) aus Protest gegen die Atomwaffenlagerung in Büchel laufen zur Zeit juristische Verfahren (Stand: 19.5.2023)

 

Vorbemerkung:

 

Seit den ersten Strafbefehlen wegen “Ziviler Inspektionen” des Atomwaffen-Stützpunkts (Go-In-Aktionen) im Jahr 1997 gab es zahlreiche weitere Ermittlungsverfahren, polizeiliche Ingewahrsamnahmen (zwei Mal auch über Nacht), zwei polizeiliche Bargeld-Konfizierungen (jeweils einem US-Aktivisten wurden 200 bzw. 150 Euro als “Hinterlegung” abgenommen),

12 rechtskräftige Strafbefehle (davon einer für zwei Aktionen), Anklageschriften, Selbstanzeigen, Ordnungswidrigkeitsverfahren, Bußgeldbescheide, Polizeieinsatzkosten-Bescheide, Hausdurchsuchungen, Begnadigungen, Verfahrenseinstellungen ohne Gerichtsverhandlungen, Klagen bei Verwaltungsgerichten, beim Bundesverfassungsgericht und beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, mindestens 95 Hauptverhandlungstage in Amts-, Land- und Oberlandesgerichten, OLG-Entscheidungen ohne Verhandlungen, 165 Verurteilungen zu Geldstrafen nach Hauptverhandlungen (86 in Amtsgerichten, davon 31 rechtskräftig / 51 in Landgerichten, davon 18 rechtskräftig / 28 im Oberlandesgericht Koblenz), 11 Verurteilungen zu Freiheitsstrafen (7 im AG Cochem, davon 4 rechtskräftig / 2 im LG Koblenz, beide nicht rechtskräftig / 2 im OLG Koblenz), 12 Freisprüche nach Hauptverhandlungen (3 in Amtsgerichten / 6 im LG Koblenz / 3 im OLG Koblenz), mehrere Verfahrenseinstellungen mit und ohne Auflagen in Gerichtsverhandlungen, eine gerichtliche Verurteilung zu Arbeitsstunden, drei Verwarnungen mit Strafvorbehalt in Gerichtsverhandlungen, zahlreiche Strafvollstreckungsverfahren und Prozesskostenbescheide, mehrfach “Verkauf” von Tagessätzen rechtskräftiger Geldstrafen und mehrere Freikäufe aus Gefängnissen.

 

Mindestens 99 AktivistInnen sind wegen "Straftaten" in oder wegen Büchel angeklagt worden, einige von ihnen mehrmals. Neben den Anklagen wegen “Straftaten” gab es auch die Verhängung von Bußgeldern wegen “Ordnungswidrigkeiten”.

 

18 Mal sind Menschen, die wegen gewaltfreier Aktionen in Büchel verurteilt worden waren, im Gefängnis gewesen. Es handelte sich 4 Mal um Freiheitsstrafen (zwischen 4 und 7 Wochen) und 14 Mal um Ersatzfreiheitsstrafen (zwischen 4 und 60 Tagen) wegen nicht gezahlter Geldstrafen. Zwei Aktive waren je zwei Mal eingesperrt, einer drei Mal, die übrigen 11 je ein Mal.

 

 

1.

Aktion 15.7.2018

 

Wegen der “Five Holes”-Go-In-Aktion stehen noch aus:

- eine Strafvollstreckung

- ein Beschluss über Annahme oder Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde

- Entscheidungen über Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

 

Mindestens 14 der 18 Personen, die durch fünf Löcher im Zaun auf das Fliegerhorstgelände gelangt waren, wurden angeklagt. Von den übrigen vier ist nicht bekannt, dass sie angeklagt wurden (möglicherweise ist ein Strafbefehl nach England geschickt worden).

 

Zwei der 14 (eine aus den Niederlanden und eine aus den USA) erhielten Strafbefehle, legten dagegen Einspruch ein und hörten dann nichts mehr davon. Die anderen 12 erschienen zu Gerichtsverhandlungen. Alle 12 Strafverfahren endeten mit Verurteilungen zu Geldstrafen. Bisher drei der Verurteilten verweigerten die Zahlung der Geldstrafen und tilgten diese durch Ersatzfreiheitsstrafen: Frits (30 Tage in JVA Wittlich/Eifel), John (50 Tage in den JVA Hamburg-Billwerder und Norderstedt – hierbei ging es um die Tilgung einer Gesamtgeldstrafe, zu der er auch wegen der Aktion vom 6.8.2018 verurteilt wurde), Dennis (58 Tage in JVA Bautzen – hierbei ging es um die Tilgung einer Gesamtgeldstrafe, zu der er auch wegen der Aktion vom 16.7.2019 verurteilt wurde). Die Strafvollstreckung gegen Susan C. steht noch aus (hierbei geht es um eine Gesamtgeldstrafe von 230 Tagessätzen, zu der sie auch wegen der Aktionen vom 6.8.2018 sowie 10. + 14. + 16. + 22.7.2019 verurteilt wurde). Sie hat erklärt, nicht zahlen zu wollen.

 

Fünf der rechtskräftig Verurteilten haben nach dem Ende ihrer Strafprozesse Verfassungsbeschwerden eingelegt. Die gemeinsame Beschwerde von Marion und Stefanie ist vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen worden, weswegen die beiden eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erhoben haben. Darüber hat der EGMR noch nicht entschieden. Auch die Verfassungsbeschwerden von Johanna und John sind vom BVerfG  nicht zur Entscheidung angenommen worden; beide planen ebenfalls eine Beschwerde beim EGMR. Auch Susan C. hat eine Verfassungsbeschwerde eingelegt. Über deren Annahme oder Nichtannahme steht ein Beschluss des BVerfG noch aus.

 

 

2.

Aktion 6.8.2018

 

Wegen der Go-In-Aktion an einem Hiroshima-Gedenktag wurden John und Susan C. angeklagt. Beide gingen durch die Instanzen Amts-, Land- und Oberlandesgericht und wurden schließlich rechtskräftig zu Gesamtgeldstrafen verurteilt: John auch wegen der Aktion vom 15.7.2018, Susan C. auch wegen der Aktionen vom 15.7.2018 sowie 10. + 14. + 16. + 22.7.2019. Zu Strafvollstreckungen und Verfassungsbeschwerden siehe oben Punkt 1.

 

 

3.

Aktionen 30.4.2019

 

An diesem Tag gab es gleich zwei Go-In-Aktionen (beide bezeichnet als "Büchel-17"), bei denen 17 AktivistInnen den Militärischen Sicherheitsbereich an zwei unterschiedlichen Stellen betraten. Mindestens 15 von ihnen wurden rechtskräftig zu Geldstrafen verurteilt, 2 per Strafbefehl (Johannes und Wolfgang), 3 durch Amtsgerichtsurteile (Dieter, Brigitte J., Gertie),  6 durch Landgerichtsurteile (Gerd, Günter, Klaus, Thuy Linh, Jan, Holger Isabelle) und 4 durch OLG-Entscheidungen (Ria, Malte, Brigitte H., Ariane). Bei der 16. Person (Lies) ist noch unklar, ob ihre Verurteilung durch das Landgericht vom 13.4.2023 rechtskräftig wird. Von der 17. Person ist anzunehmen, dass auch sie rechtskräftig verurteilt wurde, aber dies ist nicht definitiv bekannt, weil sie auf Nachfragen zum Prozessverlauf nicht mehr reagiert hat.

 

Ria und Holger Isabelle haben ihre rechtskräftigen Geldstrafen durch jeweils 30-tägige Ersatzfreiheitsstrafen getilgt.

 

Ariane hat nach der Abweisung ihres Revisionsbegehrens eine Verfassungsbeschwerde gegen ihre rechtskräftige Verurteilung eingelegt; das BVerfG beschloss im März 2023, diese nicht zur Entscheidung anzunehmen. Ariane beabsichtigt daher eine Beschwerde beim EGMR.

 

 

4.

Aktion 10.7.2019

 

Auch an diesem Tag gab es gleich zwei Go-In-Aktionen, wobei es keine Strafverfolgung wegen der am Morgen gab, als sich elf AktivistInnen Zutritt in den Fliegerhorst-Haupteingang verschafften. Bei der Aktion am Nachmittag aber schnitten sich vier AktivistInnen durch zwei Zäune, betraten das Militärgelände und wurden festgenommen. Von den vieren wurden zwei angeklagt, die zwei anderen (beide aus den USA) nicht. Die beiden Angeklagten wurden rechtskräftig zu Geldstrafen verurteilt. Eine der beiden, Margriet, erhielt eine Gesamtgeldstrafe, da sie auch beim Go-In am 15.7.2018 dabei gewesen war – auch die andere, Susan C., wurde zu einer Gesamtgeldstrafe verknackt: wegen Teilnahme an 6 Go-In-Aktionen (siehe oben Punkt 1). Susan C. hat deswegen eine Verfassungsbeschwerde eingelegt, über deren Annahme oder Nichtannahme ein Beschluss des BVerfG noch aussteht. Außerdem ist ihre Strafe noch nicht vollstreckt worden.

 

 

5.

Aktion 14.7.2019

 

Drei AktivistInnen schnitten den äußeren Zaun des Fliegerhorsts auf und wurden dann von Soldaten gehindert, auch den inneren aufzuschneiden. Alle drei wurden angeklagt.

 

Susan v.d.H. wurde zu einer Gesamtgeldstrafe von 115 Tagessätzen verurteilt, da sie außerdem an den Go-Ins vom 15.7.2018 und 16.7.2019 beteiligt war. Die Strafe ist anscheinend noch nicht vollstreckt worden. Sie will nicht zahlen, sondern ersatzweise im Gefängnis “absitzen”.

 

Auch die Strafvollstreckung gegen Susan C. (siehe oben Punkt 1) steht noch aus.

 

Brian erhielt einen Strafbefehl über eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen und legte dagegen Einspruch ein. Er war zur Verhandlung am 23.11.2022 ins Amtsgericht von Cochem geladen worden, der Termin ist dann aber vom Amtsgericht aufgehoben worden mit der fragwürdigen (oder auch lachhaften) Begründung, eine Ladung des Angeklagten sei nicht möglich, da sein derzeitiger Aufenthalt unbekannt sei. (Die “Abladung”, die das Gericht mit dem Datum 31.10.2022 versehen hatte, wurde Brian an seine Adresse in den USA zugestellt!) Mit derselben Begründung ist dann auch laut Beschluss des Cochemer Amtsgerichts vom 11.11.2022 sein Verfahren vorläufig (!) eingestellt worden. Seinem Rechtsanwalt wurde mitgeteilt, Brian habe “eine Sicherheitsleistung in Höhe von 900,00 Euro für die zu erwartende Geldstrafe und die Kosten des Verfahrens zu leisten und eine im Bezirk des zuständigen Gerichts wohnende Person zum Empfang von Zustellungen, auch für den Empfang von Ladungen, zu bevollmächtigen”. Im Falle seiner Wiedereinreise nach Deutschland muss Brian zwar nicht damit rechnen, dass er verhaftet wird, aber er muss damit rechnen, dass ihm Geld abgenommen wird und er eine neue Ladung zu einer Gerichtsverhandlung bekommt.

 

 

6.

Aktion 16.7.2019

 

Vier AktivistInnen durchschnitten zwei Zäune des Fliegerhorsts, betraten das Militärgelände, wurden von Soldaten gestellt und der Polizei übergeben. Von den vieren wurden drei angeklagt.

 

Dennis wurde im Amtsgericht Cochem zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen verurteilt (er hatte zuvor bereits eine Verurteilung zu 30 Tagessätzen wegen der Aktion vom 15.7.2018 erhalten). Er legte Berufung ein, zog diese aber zurück, bevor es deswegen zu einer Verhandlung im LG Koblenz kommen konnte. So wurde die 70-Tagessätze-Strafe rechtskräftig. Aus den beiden Verurteilungen und einer dritten durch das Amtsgericht Erding (wegen eines Delikts, das mit gewaltfreiem Widerstand gegen Atomwaffen anscheinend nichts zu tun hatte) hat das AG Erding eine Gesamtstrafe von 150 Tagessätzen gebildet. Da er die 90 Tagessätze aus der Erdinger Verurteilung bereits bezahlt hatte, verblieb eine Restgeldstrafe von 60 Tagessätzen, die er jedoch nicht bezahlen wollte. Er tilgte sie durch eine Ersatzfreiheitsstrafe von 58 Tagen (23.3.-19.5.2023) in der JVA Bautzen. (Dort wird offenbar nur werktags entlassen; der 59. und 60. Hafttag wäre auf Samstag/Sonntag gefallen.)

 

Die Strafvollstreckung gegen Susan C. (siehe oben Punkt 1) steht noch aus.

 

Auch die Strafvollstreckung gegen Susan v.d.H. (siehe oben Punkt 5) steht anscheinend noch aus.

 

 

7.

Aktion 22.7.2019

 

Bei ihrer Go-In-Einzelaktion an diesem Tag durchtrennte Susan C. den äußeren Zaun des Fliegerhorsts, kam nicht mehr dazu, auch den inneren aufzuschneiden, erhielt einen Platzverweis für die folgenden fünf Tage und wurde später wegen dieser und fünf weiterer Go-Ins zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt (siehe oben Punkt 1).

 

 

Fazit:

 

Ein Strafverfahren (gegen Brian wegen der Aktion am 14.7.2019) ist nur vorläufig eingestellt. Mehrere Straf-Vollstreckungsverfahren wegen rechtskräftig gewordener Geldstrafen laufen noch (wobei allerdings unklar ist, ob alle, die rechtskräftig verurteilt wurden, die Vollstreckung der Strafen mitgeteilt haben).

 

Seit der vorigen Übersicht vom 17.11.2022 sind zwei weitere Aktivisten im Gefängnis gewesen, womit sich die Anzahl der Inhaftierungen von Leuten, die wegen gewaltfreier Aktionen in Büchel verurteilt worden waren, auf 18 erhöht hat.

 

Auch sind seit der vorigen Übersicht drei weitere Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen worden und eine weitere ist eingelegt worden. Damit hat sich die Anzahl der nach Verurteilungen wegen gewaltfreier Aktionen in Büchel eingelegten Verfassungsbeschwerden auf 17 erhöht, erhoben von 18 AktivistInnen. Über die zuletzt (von Susan C.) eingelegte Beschwerde (siehe oben Punkt 1) wurde vom Bundesverfassungsgericht noch kein Beschluss über Annahme oder Nichtannahme gefasst. Die anderen 16 sind nicht zur Entscheidung angenommen worden. (Ebenso erging es zwei Verfassungsbeschwerden von Büchel-Aktiven, die jedoch nicht aufgrund vorheriger Strafurteile erhoben worden waren.)

 

 

 Über Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – nach Abweisungen von Verfassungsbeschwerden durch das BVerfG – wurde noch nicht entschieden.

"Die militärische Justitia hat nicht nur verbundene Augen, sondern auch verstopfte Ohren und ein gepanzertes Herz" (Carl von Ossietzky, 1889-1935, Friedens-Nobelpreis-Träger, Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft)