Martin Otto, seine Gewaltfreie Aktion "Abrüstung von unten" am Nagasaki-Gedenktag 9.8.2016, sowie der Prozess und die Strafvollstreckung gegen Ihn


Martin Otto, Friedenstreff Wetzlar
Martin Otto, Friedenstreff Wetzlar

Im Oktober 2016 erhielt er vom Amtsgericht Cochem einen Strafbefehl wegen Sachbeschädigung über eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen à 15 Euro, ersatzweise 15 Tage Haft. Er legte dagegen Einspruch ein, so dass ihn das Gericht zu einer Hauptverhandlung am 1.2.2017 lud. Der ausführliche Entwurf seiner Verteidigungserklärung kann hier gelesen werden. Diese Erklärung mag auch als Anregung für Verteidigungsreden anderer AktivistInnen dienen, die wegen Zivilen Ungehorsams in Büchel angeklagt werden. In der Verhandlung am 1.2.2017, zu der er ohne Verteidiger erschien, plädierte er auf Straffreiheit, während die Staatsanwältin die bereits im Strafbefehl festgesetzte Geldstrafe von 15 Tagessätzen beantragte. Dem Amtsrichter aber war das zu wenig: Er verurteilte zu 25 Tagessätzen, ersatzweise 25 Tage Gefängnis. Seine Begründung war, der Angeklagte zeige keinerlei Reue, sondern befürworte im Gegenteil eine vielfache Wiederholung seiner Aktion durch viele andere AtomwaffengegnerInnen. Gegen die Verurteilung legte Martin Otto noch im Gerichtsgebäude Berufung ein.
In der 2. Instanz wurde am 20.4.2017 im Landgericht Koblenz seine Berufung abgewiesen. Auch die dortige Strafkammer wollte nicht auf Straffreiheit entscheiden - und noch nicht einmal die Anzahl der Tagessätze wieder verringern. Der Angeklagte, der auch hier wieder ohne Verteidiger erschienen war, hatte angeregt, die Kammer möge erst urteilen, nachdem sie eine Richtervorlage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht habe und dieses sich - endlich einmal - inhaltlich mit der Völkerrechtswidrigkeit der Nuklearen Teilhabe befasst habe. Dieser Anregung wollte das Gericht ebenfalls nicht folgen. Gegen das Urteil legte Martin Otto Revision ein.

Die deutsche Sektion der Internationalen JuristInnen gegen Atomwaffen

(IALANA) hat sich daraufhin des Falles angenommen und auf 17 Seiten den Revisionsantrag juristisch begründet. Am 13.7.2017 jedoch hat das Oberlandesgericht Koblenz (3. Instanz) die Revision als "offensichtlich unbegründet" verworfen. Damit ist die Veurteilung zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen, ersatzweise 25 Tagen Haft, rechtskräftig geworden.

Außerdem werden dem Angeklagten die Kosten des Prozesses auferlegt.
Er erhielt im August 2017 von der Strafvollstreckungsbehörde eine Kostenrechnung über 1.159 Euro (375 Euro Geldstrafe plus 784 Euro Verfahrenskosten). Daraufhin schrieb er in einem Offenen Brief an die Staatsanwaltschaft und andere, dass er die Kosten wegen seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht bezahlen könne und auch nicht wolle. Gleichzeitig stellte er einen Antrag auf Straferlass, da sich zwischenzeitlich mit dem in der UNO beschlossenen Atomwaffen-Verbotsvertrag eine neue völkerrechtliche Erwägung ergeben habe, die seine verurteilte Handlung einmal mehr rechtfertige. Nachdem sein Antrag auf Straferlass abgelehnt worden war, schrieb er an die Staatsanwaltschaft, eine zwangsweise Einziehung des Geldes würde gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen (Pfändungsfreigrenze) und er würde in diesem Fall Schadenersatz verlangen. Dann beantragte er die Genehmigung, die Geldstrafe ersatzweise in Sozialstunden "abarbeiten" zu dürfen. Dies wurde gestattet, und er tilgte daraufhin 13 der 25 Tagessätze durch 78 unentgeltliche Arbeitsstunden (13 mal 6 Stunden) bei der Bangaladesch-Hilfsorganisation NETZ. Den Leuten von NETZ teilte er schon bei der Arbeitsaufnahme mit, dass er nach 78 Arbeitsstunden die Tätigkeit abbrechen werde, um einen weiteren Teil der Strafe demonstrativ als "Mahnwache im Gefängnis" zu tilgen. Gleichzeitig startete er eine "Aktion Offener Brief - Freikauf aus dem Gefängnis", die über mehrere Monate lief. Hierbei legten 259 Menschen Geld für einen Freikauf aus dem Knast zusammen. 235 von ihnen erklärten durch Unterschrift unter den Text eines Offenen Briefs an politisch und juristisch Verantwortliche, dass sie dafür Geld gegeben haben. In dem Brief fordern sie neben dem Beitritt Deutschlands zum Atomwaffen-Verbotsvertrag und der Abschaffung aller Atomwaffen auch die Beendigung der Strafverfolgung gewaltfrei-aktiver Atomwaffen-GegnerInnen. Der Offene Brief mit den 235 Namen wurde von Martin Otto kurz vor seinem Haftantritt an mehrere Mitglieder der Bundesregierung, an die US-Botschaft in Berlin und an mehrere Justizorgane abgeschickt. Kurz darauf verbreitete die "atomwaffenfrei"-Kampagne eine Pressemitteilung zu der Inhaftierung. Hier lag der Offene Brief ebenfalls bei. Am 19.9.2018 trat Martin seine siebentägige "Mahnwache im Gefängnis für eine atomwaffenfreie Welt" im Offenen Vollzug der JVA Gießen an. Die Staatsanwaltschaft hatte ihn für eine zwölftägige Rest-Ersatzfreiheitsstrafe geladen, aber mit dem von solidarischen Menschen zusammengelegten Geld konnte er vorzeitig ausgelöst werden, so dass er am 26.9. aus dem Knast entlassen wurde. Damit war die gesamte Geldstrafe von 25 Tagessätzen getilgt. Die Forderung des Staates nach Begleichung der Verfahrenskosten von inzwischen 787,50 Euro besteht weiterhin. Martin geht davon aus, dass - wie schon in seinen früheren Strafprozessen - auch diesmal wieder die Verfahrenskosten nicht zwangsweise beigetrieben werden können, da sein Einkommen unterhalb der Pfändungsfreigrenze liegt. Nach seiner Entlassung betonte Martin Otto gegenüber der Presse in seiner Heimatstadt Wetzlar, dass seiner Überzeugung nach - und in Anlehnung an ein Wort von Mahatma Gandhi - der Weg zu einer Welt ohne (Atom-)Waffen durch die Gefängnisse führt.


Die Entzäunungsaktion am Nagasaki-Gedenktag 2016:

Am Nagasaki-Gedenktag, dem 9.8.2016, hat es am Fliegerhorst Büchel kurz nach der Beendigung des diesjährigen Fastens für eine atomwaffenfreie Welt noch einmal eine Sitzblockade vor der Haupteinfahrt gegeben - und ca. 300 Meter davon entfernt eine "Entzäunungsaktion": Dabei hat ein Aktiver der Kampagne "Büchel ist überall - atomwaffenfrei.jetzt" mit einem Bolzenschneider ein Loch in den Militärzaun geschnitten. Anschließend stellte er sich bereitwillig einer Bundeswehr-Streife und der Polizei. Er hatte seine Schnitte in den Zaun absichtlich an einer Stelle sehr nahe an der vorbeiführenden Bundesstraße ausgeführt, um alsbald entdeckt zu werden. Die Polizisten erteilten ihm einen Platzverweis, beschlagnahmten den Bolzenschneider und nahmen die Personalien auf, da der "Verdacht einer Sachbeschädigung" bestehe. Der Aktivist entgegnete, hier liege nicht nur ein Verdacht, sondern ganz unzweifelhaft eine Sachbeschädigung vor. Fraglich sei allerdings, ob es sich um eine strafbare oder eine gerechtfertigte Aktion handele. Er werde gerne seine Handlung vor Gericht rechtfertigen, notfalls durch mehrere Instanzen hindurch und eventuell bis hin zum Bundesverfassungsgericht. Im Falle eines Strafprozesses werde er zwar als Angeklagter erscheinen, aber er werde als solcher selbst etwas einklagen: nämlich das Recht auf Gewaltfreien Widerstand gegen staatliches Unrecht. Die Aktion sei eine symbolische, aber doch auch konkrete "Abrüstung von unten". Symbolisch sei sie deshalb, weil sie - auch bei vielfacher Wiederholung durch viele andere Aktivisten - nicht geeignet sei, tatsächlich den Abzug der Atomwaffen zu bewirken; immerhin könne sie jedoch einen entsprechenden Druck auf verantwortliche Politiker und Militärs deutlich verstärken, vor allem bei wünschenswerter vielfacher Wiederholung. Und konkret sei die Aktion deshalb, weil tatsächlich der Militärzaun beschädigt und ein Strafverfahren provoziert wurde. Im Übrigen handele es sich um eine gewaltfreie Aktion im Sinne des von der "atomwaffenfrei"-Kampagne vorgegebenen Aktionsrahmens: Zwar sei Militäreigentum beschädigt worden, aber während seiner Handlung habe zu keiner Zeit eine andere Person eine körperliche oder auch nur verbale Gewalt gegen sich befürchten müssen. Er beteilige sich zwar durchaus an Vorbereitung und Durchführung von demonstrativen Aktionen, aber das Unrecht der Atombomben-Bereithaltung erscheine ihm so schwerwiegend, dass er sich nicht auf Demonstrieren, Mahnen, Protestieren und Blockieren beschränken könne. Im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung wegen der Sachbeschädigung beabsichtige er, sich demonstrativ ins Gefängnis sperren zu lassen, wie er es in der Vergangenheit wegen ähnlicher Aktionen des Zivilen Ungehorsams bereits mehrfach getan habe.