Büchel lebt auf einem Pulverfass.

WOCHENSPIEGEL COCHEM ZELL, 20. Februar 2019, von Mario Zender, "Büchel lebt auf einem Pulverfass"

Büchel. Renommierter Friedensforscher der Uni Tübingen macht sich große Sorgen, um die Sicherheit in Büchel nach der Kündigung des Abrüstungsvertrages (INF-Vertrag) durch US-Präsident Trump.

Es ist ein unscheinbares Haus im hinteren Bereich des Bundeswehrstandortes Büchel. Doch das rote, viereckige Gebäude, das mit einer großen Gabionenwand umgeben ist, hat eine enorme Bedeutung im Fall eines Krieges der Supermächte USA und Russland. Denn aus dem fensterlosen Anwesen, das strengstens bewacht wird, wird angeblich die Kriegsführung im Verteidigungsfall mit den US-Atombomben gesteuert. Von dort können dann US-Militärs die mutmaßlich in Büchel stationierten US-Atomwaffen aus den unterirdischen Gruften heben und an Bundeswehr-Tornados anbringen lassen, die sie zum Einsatzort befördern.

Um die 20 Atombomben vom Typ B-61 - jede mit einer Sprengkraft von etwa 50 Kilotonnen - sollen in Büchel lagern. Und es könnten nach der Kündigung des INF-Vertrages durch Trump und Putin noch mehr werden, fürchten Friedensforscher. Einer von ihnen ist der renommierte Friedensforscher Dr. Thomas Nielebock von der Universität Tübingen. Schwerpunkte der Arbeit des Akademischen Oberrates sind Europäische Sicherheit und europäische Sicherheitsinstitutionen, Rüstungskontrolle, insbesondere Rüstungsexporte und Atomwaffenfreie Zonen.

Durch die Kündigung des INF-Vertrages sieht er die Situation zugespitzt. "Die Gefahr einer verstärkten Aufrüstung ist nicht auszuschließen, da mit der Kündigung des INF-Vertrages diejenigen Waffen in Europa wieder stationiert werden können, die in Krisenzeiten höchst gefährlich sind", so Dr. Nielebock im Gespräch mit dem WochenSpiegel.

Konkret hat der Wissenschaftler Sorge, denn von den dort mutmaßlich lagernden Atomwaffen geht offenbar auch eine indirekte Gefahr aus. "Schon heute - das ist anzunehmen - ist deshalb Büchel einer der wichtigsten Standorte im Visier der russischen Angriffswaffen, denn die in Büchel stationierten Atomwaffen müssten zerstört werden, bevor sie Richtung Russland starten", erläutert der Friedensforscher gegenüber dem WochenSpiegel.

Diese Gefahr erhöhe sich, so Nielebock, mit jedem weiteren Rüsten hin zur atomaren Kriegsführungsfähigkeit und in jeder ernsten Krise. Der Friedensforscher ist besorgt: "Büchel lebt deshalb auf einem Pulverfass."

Behörden alarmiert - Größere Demos rund um Büchel befürchtet

Die Sicherheitsbehörden im Kreis Cochem-Zell sind alarmiert: In und um den Fliegerhorst Büchel soll es in den kommenden Wochen und Monaten zu zahlreichen Aktionen von Friedensaktivisten kommen. Das Aktionsbündnis "Büchel atomwaffenfrei" hat zu Protesten "20 Wochen gegen 20 Atombomben" aufgerufen. Der Schwerpunkt der Aktionen soll demnach im Juli liegen. So soll es am Sonntag, 7. Juli, einen kirchlichen Aktionstag mit Margot Käßmann in Büchel geben.
 
Interview mit Friedensforscher Dr. Thomas Nielebock

Mit Sorgen reagiert die Weltgemeinschaft auf die Kündigung des INF-Abrüstungsvertrages durch US-Präsident Trump.

WochenSpiegel: Herr Dr. Nielebock, sehen Sie nach der Kündigung des INF-Vertrages durch US-Präsident Trump die Gefahr eines neuen Wettrüstens?

Dr. Thomas Nielebock: Die Gefahr einer verstärkten Aufrüstung ist nicht auszuschließen, da mit der Kündigung des INF-Vertrages diejenigen Waffen in Europa wieder stationiert werden können, die in Krisenzeiten höchst gefährlich sind. Gefährlich deshalb, weil sie in einer ernsten Krise einen Präventionszwang erzeugen, das heißt es militärstrategisch für notwendig erscheinen lassen, diese Waffen als erster auszuschalten. Die falsche Einschätzung eines Alarms kann deshalb verheerende Folgen haben, zumal die Vorwarnzeiten nur wenige Minuten für eine Entscheidung lassen. Bisher ist jedoch noch offen, ob die NATO-Staaten eine neue Nachrüstung beabsichtigen. Das wird wesentlich auch von der öffentlichen Debatte in den nächsten Monaten abhängen. Aber selbst ein Verzicht auf eine Nachrüstung entschärft die Lage nur minimal, denn generell ist festzuhalten, dass es neben den bisher verbotenen landgestützten Raketen bei anderen Waffensystemen und kriegstauglicher Technologie ungebrochen Aufrüstungsprozesse im Sinne von Modernisierung gegeben hat. In den Militär-Doktrinen schlägt sich wieder die Annahme nieder, dass begrenzte Atomkriege führbar sind. Die Folgen für Deutschland wären verheerend: Es würde als lebensfähige Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft nicht weiterexistieren können. Zudem hat schon Präsident George W. Bush 2002 mit der Aufkündigung des Vertrags über die Begrenzung der Raketenabwehr die Türe wieder aufgestoßen, für einen Erstschlag zu rüsten. Die von der NATO installierte Raketenabwehr in Rumänien und Polen haben genau diese Befürchtungen bei der russischen Führung ausgelöst.

Welche Folgen könnte dies für Deutschland haben und insbesondere für den Bundeswehrstandort Büchel?

Obwohl nicht amtlich bestätigt, gilt der Standort Büchel als Standort für US-amerikanische Atomwaffen, die dann auch mit deutschen Flugzeugen ins Ziel gebracht werden sollen. Diese Atomwaffen werden derzeit modernisiert, wobei Modernisierung immer einhergeht mit der Illusion, sie dann eventuell in einem begrenzten Atomkrieg einsetzen zu können. Schon heute - das ist anzunehmen - ist deshalb Büchel einer der wichtigsten Standorte im Visier der russischen Angriffswaffen, denn die in Büchel stationierten Atomwaffen müssten zerstört werden, bevor sie Richtung Russland starten. Diese Gefahr erhöht sich mit jedem weiteren Rüsten, hin zur atomaren Kriegsführungsfähigkeit und in jeder ernsten Krise. Büchel lebt deshalb auf einem Pulverfass.

Was können Deutschland und Frau Merkel tun, um eine solche Entwicklung zu verhindern?

Zunächst bedürfte es einer Selbstverständigung darüber, ob Deutschland zu seinem Schutz Atomwaffen braucht. Dazu ist festzuhalten: 1. Wenn jemand Deutschland atomar zerstören will, so gibt es dagegen keinen militärischen Schutz. 2. Alle atomaren Erpressungsszenarien setzen voraus, dass man sich erpressen lässt. Wenn man dies ausschließt, gibt es keine Erpressungsoption eines Gegners. 3. Wenn die NATO eine atomare Kriegsführungsstrategie zur Verteidigung vorsieht, dann kann Deutschland nur um den Preis seiner Zerstörung als Industriegesellschaft verteidigt werden. Für eine verantwortliche Politik für Deutschland folgt daraus, alles zu tun, um Atomwaffen zu delegitimieren und sie (zumindest) aus der Verteidigungsstrategie der NATO herauszunehmen. Um Büchel und Deutschland zu schützen, sind die Atomwaffen abzuziehen. Außerdem ist eine klare Stellungnahme zu der aufkommenden Diskussion über eine deutsche Atomwaffe dringend nötig. Die Bundesregierung hat bisher immer das Ziel der Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen betont, für sich selbst aber den atomaren "Schutz" durch die Alliierten in Anspruch genommen. Diesen Widerspruch muss die Bundesregierung auflösen. Ein Schritt wäre, dem Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten. Politisch sind Bedingungen zu schaffen, die viele Schritte zurück vom Abgrund eines Krieges (und sei es nur aus Versehen) ermöglichen. Die Billigung von Aufrüstung geht eher einen Schritt auf diesen Abgrund zu.

Wenn man Ihnen diese Entwicklung vor drei Jahren vorhergesagt hätte, wie hätten Sie reagiert?

Leider hätte mich das überhaupt nicht überrascht, denn seit langer Zeit beobachten wir einen Erosionsprozess der bilateralen und multilateralen Rüstungskontrolle. Den ersten Schritt dazu haben die USA 2002 unternommen, die einseitig das Abkommen über die Begrenzung der Raketenabwehr gekündigt haben. Russland und andere Länder haben dann nachgezogen. Die Kündigung des INF-Vertrags ist nur der vorletzte Schritt in eine Welt, in der die Großmächte wieder überall für alles und mit allem rüsten dürfen. Zu beklagen haben wir, dass das umfassende Verbot für Atomtests immer noch nicht in Kraft ist. Ein kleiner Hoffnungsschimmer war das Atomabkommen mit dem Iran, das die Weiterverbreitung von Atomwaffen eingehegt und damit den Atomwaffensperrvertrag gestärkt hätte. Durch die Kündigung dieses Vertrages seitens der USA wird die Idee der Nichtverbreitung weiter beschädigt. Fortschritte hin zu einer sichereren Welt scheint es nur ohne die Großmächte zu geben.

Das Interview führte Mario Zender.