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Vereinigte Staaten : Früherer Pentagon-Chef fordert Reform des Zugangs zu Atomwaffen. FAZ, online, aktualisiert am 10.01.2021-10:34 Uhr.
Foto: Unscheinbare schwarze Aktentasche: Ein Soldat trägt in der rechten Hand den „Atomkoffer“ des amerikanischen Präsidenten, der auch als „nuclear football“ bezeichnet wird. Bild: AFP
Der frühere Pentagon-Chef William Perry kritisiert, dass amerikanische Präsidenten die alleinige Kontrolle über das Atomwaffenarsenal haben. Er fragt: „Warum gehen wir dieses Risiko ein?“
In der Debatte um die Macht des amerikanischen Präsidenten über die Atomwaffen des Landes hat der frühere Pentagon-Chef William Perry eine Reform des bisherigen Systems angemahnt. Sobald der
künftige Präsident Joe Biden vereidigt sei, sollte dieser verkünden, „seine Befugnis zur Nutzung von Atomwaffen mit einer ausgewählten Gruppe im Kongress zu teilen“, schrieb Perry in einem
gemeinsamen Gastbeitrag mit dem Politikexperten Tom Collina für das Magazin „Politico“.
Perry und Collina nannten es „überholt, unnötig und extrem gefährlich“, dass in den Vereinigten Staaten der Präsident noch immer die alleinige Kontrolle über das Atomwaffenarsenal habe. Das
derzeitige System gebe dem aktuellen Präsidenten die „gottähnliche Macht, in nur einem Augenblick eine globale Zerstörung anzurichten“.
Die Autoren appellierten auch an Biden, öffentlich zu erklären, dass die Vereinigten Staaten niemals einen Atomkrieg starten und eine Atombombe nur im Falle eines Angriffs einsetzen würden. Perry
diente von 1994 bis 1997 unter dem damaligen demokratischen Präsidenten Bill Clinton als Verteidigungsminister.
Perry und Collina wiesen auch auf die vom scheidenden Präsidenten Donald Trump ausgehende Gefahr hin. „Denken wir wirklich, dass Trump verantwortungsbewusst genug ist, dass wir ihn mit der Macht
betrauen, über das Ende der Welt zu entscheiden?“, heißt es in dem Beitrag.
Präsidenten hätten die „absolute Befugnis“ dazu, einen Atomkrieg zu beginnen, heißt es weiter. „Innerhalb von wenigen Minuten kann Trump hunderte Atombomben auslösen, oder nur eine. Er braucht
keine zweite Meinung. Der Verteidigungsminister hat kein Mitspracherecht. Der Kongress spielt keine Rolle. Warum gehen wir dieses Risiko ein?“
Am Freitag hatte die demokratische Vorsitzende Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, nach eigenen Angaben mit dem amerikanischen Generalstabschef Mark Milley besprochen, wie Trump in seinen letzten
Tagen im Amt von einem möglichen Atomangriff abgehalten werden kann. In dem Gespräch sei es darum gegangen, wie verhindert werden könne, dass „ein instabiler Präsident militärische
Kampfhandlungen einleitet oder auf die Abschusscodes zugreift und einen Atomschlag befiehlt“, erklärte Pelosi in einem Schreiben an die demokratischen Abgeordneten.
Aktualisiert am 15. 01.2021, https://www.gmx.net/magazine/politik/us-praesident-donald-trump/angst-bombe-trump-atomwaffen-usa-35441582
Wenn der Präsident entschieden hat – unabhängig davon, ob nach langer Überlegung oder in einer Art Wutanfall –, können "weder das Militär noch der Kongress diese Befehle aufheben", wie es es in
einem im Dezember veröffentlichten Bericht des Forschungsdienstes des US-Kongresses über die Atomwaffenkontrolle heißt.
Die einzige Einschränkung für den US-Präsidenten ist in diesem Fall die Legalität des Angriffs. Das Kriegsrecht würde es einem Militärangehörigen erlauben, einen Befehl zu verweigern, wenn er
diesen für unrechtmäßig hält.
Der Ablauf eines Atomwaffeneinsatzes sähe normalerweise so aus: Der Präsident entscheidet sich zu einem nuklearen Angriff und berät sich mit den Militärchefs. Im Atomkoffer findet er die
verschiedene Optionen für einen Angriff und die Kommunikationsmittel, diesen offiziell zu befehlen. Mithilfe des "Biscuits", der eigenen Code-Karte des Präsidenten, identifiziert er sich dann als
Oberbefehlshaber.
Der Angriffsbefehl wird an das Strategische Kommando der US-Streitkräfte weitergeleitet, wo ein Offizier bestätigt, dass der Befehl vom Präsidenten kommt. Nach dem Befehl kann der Abschuss einer
bodengestützten Rakete mit nuklearem Sprengkopf innerhalb von zwei Minuten erfolgen; bei einer U-Boot-gestützten Rakete innerhalb von 15 Minuten.
Keine Ausnahmen für geistig labile Präsidenten vorgesehen
Nach Ansicht von Derek Johnson von der Anti-Atomwaffen-Initiative Global Zero wäre der Druck, einem solchen Befehl zu gehorchen, "massiv".
"Menschen in der Befehlskette können theoretisch einen Befehl verweigern, aber ein bestätigter Befehl wird als legal wahrgenommen", sagte Johnson.
Ausnahmen für das Szenario eines geistig labilen und beratungsresistenten Präsidenten sind nicht vorgesehen. Die einzige Möglichkeit wäre in diesem Fall, den Präsidenten mithilfe des 25.
Verfassungszusatzes abzusetzen. Dies hatte Vize-Präsident Mike Pence jedoch diese Woche abgelehnt.
DER SPIEGEL - Von Veit Medick - Freitag, 20.01.2017
Donald Trump hat seine persönlichen Atom-Codes erhalten. Nuklearexperte Bruce Blair erklärt im Interview, wie die Übergabe abläuft, der US-Präsident die Codes einsetzen kann - und warum er vor
Trump furchtbare Angst hat.
Dr. Bruce Blair, Jahrgang 1947, ist Sicherheitsexperte und Fachmann für Nuklearfragen an der Universität Princeton. In den Siebzigerjahren kontrollierte Blair für die US-Armee das Prozedere
für den möglichen Abschuss von Atomwaffen. Sein Job war es, den Weg von Befehl des Präsidenten bis zum Start der Raketen virtuell durchzuspielen und zu gewährleisten, dass im Ernstfall sämtliche
Prozesse reibungslos verlaufen. Seit seiner Arbeit für die US-Armee gehört Blair zu den führenden nuklearpolitischen Kritikern in den USA. Im Wahlkampf trat er in einem Video von Hillary Clinton
auf und warnte eindringlich vor der Wahl Donald Trumps.
Donald Trump ist der 45. US-Präsident: Was macht der mächtigste Mann der Welt mit seiner Macht? Wie geht er mit dem sogenannten Atomkoffer um? Mit einer einzigen Entscheidung könnte Trump einen
Nuklearkrieg entfachen. Seine Aussagen dazu sind wie meistens nicht eindeutig. So sagte er im April vergangenen Jahres im Wahlkampf zwar, es sei ein "Horror, Atomwaffen einzusetzen". Er werde der
Letzte sein, der dies tue. Doch ergänzte er dann auch: "Aber ich werde es niemals ausschließen." Der Nuklearexperte Bruce Blair äußert sich im Interview über Trumps Atom-Allmacht:
SPIEGEL ONLINE: Mr. Blair, Donald Trump wird am Freitag vereidigt, kurz vorher erhält er wie alle neuen Präsidenten das hochgeheime Briefing zu den Nuklear-Codes. Was wissen wir über dieses
Briefing?
Bruce Blair: Mehrere Dinge. Wir wissen zum Beispiel, dass ihm in der Sitzung der sogenannte Nuklearkoffer präsentiert wird. Das ist eine Art mobile Kommandozentrale, die ein
Präsident im Fall einer Krise nutzen kann.
SPIEGEL ONLINE: Was befindet sich in dem Koffer?
Bruce Blair: Der Koffer enthält Unterlagen zu Amerikas geheimen Atomwaffenstandorten. Auch das Schwarze Buch mit festen Angriffszielen und verschiedenen Kriegsoptionen, aus denen
ein Präsident im Notfall wählen kann, befindet sich darin. Neben dem Koffer werden dem neuen Oberkommandierenden in der Regel auch seine persönlichen Nuklear-Codes überreicht. Und jemand, der
sich damit gut auskennt, erklärt ihm in Grundzügen, wie er sie nutzt. Die Codes sind äußerst wichtig. Will er den Einsatz von Atomwaffen befehlen, muss er sich gegenüber dem Pentagon vorher
zweifelsfrei identifizieren. Dafür sind sie gedacht.
SPIEGEL ONLINE: Am Morgen der Inauguration geht der neue Präsident also erst einmal die Einzelheiten eines Atomkriegs durch?
Bruce Blair: In der Regel nicht sehr intensiv. Kurz vor der Inauguration dürften die meisten Schwierigkeiten haben, sich zu konzentrieren. Eine wirklich detaillierte
Erklärung über die unterschiedlichen Optionen erfolgt schon in der Übergangsphase. Im Nuklear-Briefing geht es eher um eine grobe Darstellung der Möglichkeiten. Jimmy Carter war bei seinem
Amtsantritt zum Beispiel genervt davon, dass die Broschüren im Koffer aus seiner Sicht viel zu lang waren. Er hat deshalb eine Ein-Seiten-Version in Auftrag gegeben, die einem Comic ähnelt.
Option eins, Option zwei, Option drei. So in der Art. Diese Version gibt es meines Wissens immer noch.
SPIEGEL ONLINE: Im Wahlkampf haben Sie betont, welch große Angst Sie davor haben, dass Donald Trump ins Weiße Haus einzieht. Sind Sie seit dessen Wahlsieg etwas weniger besorgt?
Bruce Blair: Nein. Trumps Finger auf dem Atomkoffer macht mir Angst. Ich habe keinerlei Vertrauen in Trumps Urteilskraft, was Krieg und Frieden angeht. Er
ist impulsiv. Er ist aggressiv, schlecht oder falsch informiert. Er weiß praktisch nichts über Atomwaffen oder internationale Beziehungen. Er ist ein Hitzkopf. Er denkt nicht. Er will nicht
lernen. Und ganz wichtig: Er hat gezeigt, dass er die Welt in Gewinner und Verlierer einteilt. Ganz ehrlich: Ich lebe in Angst. Ich fürchte, irgendwann trifft Trump eine schlechte
Entscheidung, was Atomwaffen angeht.
SPIEGEL ONLINE: Aber mal ehrlich: Ein Knopfdruck und schon fliegen die Atomwaffen in Richtung feindlicher Ziele - wie viel von dieser Vorstellung ist Science-Fiction?
Bruce Blair: Nicht viel, das ist ja das Problem. In der Nuklearfrage gibt es ein klar geregeltes Prozedere. Es ist dazu entworfen worden, im Zweifel schnell und effizient
reagieren zu können. Es ist unglaublich: Der Präsident hat eine Entscheidungsmacht, die die Zivilisation beenden kann. Vollkommen ohne Hürden.
SPIEGEL ONLINE: Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Bruce Blair: Es gibt zum Beispiel das Not-Szenario des Telefonanrufs mitten in der Nacht, in dem ein Präsident von seinem Sicherheitsberater über einen drohenden Angriff auf die
USA informiert wird. Er hat dann maximal sechs Minuten Zeit zu entscheiden, wie er reagiert. Das Protokoll sieht vor, dass der Präsident mit seinen engsten Beratern konferieren muss sowie dem
leitenden Beamten des Kommandozentrums im Pentagon, dem sogenannten "war room".
Sollte der Präsident den Einsatz befehlen, muss der Pentagon-Beamte, der die Atomwaffenstandorte über die Entscheidung informiert, zunächst zweifelsfrei klären, ob es sich auch wirklich um den
Präsidenten handelt. Hier kommen die Codes zum Einsatz. Nach allem, was man weiß, geht das nach dem in Militärkreisen üblichen "challenge response" Verfahren. Der Pentagon-Beamte liest einen Teil
der Zeichenfolge vor, der Präsident muss das passende Äquivalent liefern. Dann geht es los.
SPIEGEL ONLINE: Ein nächtlicher Anruf ist noch nicht sehr häufig vorgekommen.
Bruce Blair: Es gibt ein zweites Szenario: Das einer längeren Konfrontation mit einem Staat oder einem Feind, in dem nicht ganz so hektisch entschieden werden muss und der
Präsident womöglich über Tage oder Wochen hinweg abwägt. Das mögen unterschiedliche Varianten sein. Aber der Punkt ist: Wenn eine Entscheidung getroffen ist, geht alles sehr schnell. Und die
Angriffsziele im Nuklearkoffer sind fest voreingestellt.
SPIEGEL ONLINE: Wo liegen die Ziele?
Bruce Blair: Viele Details sind geheim. Aber im Groben ist bekannt, dass allein 900 Ziele in Russland gespeichert sind, davon 100 in Moskau. 500 gibt es in China, 60 in
Nordkorea, 50 in Iran. Was er angreifen will, kann der Präsident allein entscheiden. Ein Ziel, oder einfach alle Ziele gleichzeitig. Es gibt niemanden, der seine Entscheidung verhindern kann.
Niemanden, der ein Veto einlegen kann. Übrigens auch nicht der Verteidigungsminister, wie manche glauben.
Gibt der Präsident sein Okay, geht alles seinen Gang. Die Kommandozentrale schickt einen kurzen Startbefehl, der praktisch zeitgleich an den jeweiligen Raketenstandorten ankommt. Dann werden die
Waffen innerhalb von einer Minute startklar gemacht. Das war jahrelang mein Job.
SPIEGEL ONLINE: Hoffentlich nur in der Theorie.
Bruce Blair: Ja, klar. Wir haben in dem Atomwaffenstandort, in dem ich gearbeitet habe, natürlich immer nur den Ernstfall geübt. Jeden Tag. Hunderte Mal. Immer das gleiche
Prozedere: Befehl. Startanweisung aus dem Pentagon. Wir öffnen den Safe. Wir holen unsere versiegelten Codes raus und vergleichen sie mit jenen Codes, die uns übermittelt wurden. Wenn die
übereinstimmen, starten wir auf dem Simulator die Atomrakete. Alles innerhalb von einer Minute. Das ist der Standard.
SPIEGEL ONLINE: Wie viele amerikanische Atomraketen sind aktuell einsetzbar?
Bruce Blair: Unterirdisch gibt es zurzeit 430 Atomraketen, die jederzeit startklar sind. Zudem schwimmen im Pazifik und im Atlantik noch einige U-Boote mit rund dreihundert
Raketen. Vom Befehl bis zum Abschuss würde es bei denen etwas länger dauern - rund 15 Minuten.
SPIEGEL ONLINE: Hat jede dieser Raketen ein Ziel?
Bruce Blair: Nein, jede Rakete hat viele unterschiedliche Ziele in ihrem Computer. Aber Teil des Ein-Minuten-Prozedere ist es, die Rakete auf die richtige Angriffsoption
einzustellen. Je nach Option fliegt die Rakete dann ein entsprechendes Ziel an. Es gibt drei unterschiedliche Arten von Zielen: Die Raketen könnten zur Zerstörung feindlicher Nuklearwaffen
verwendet werden, zur Zerstörung von Gebäuden der politischen Führung eines Landes oder der Waffenindustrie. Das muss man sich wie eine Menu-Option vorstellen. Ziel, Land, los geht's.