Das nukleare Damoklesschwert

US-Präsident John F. Kennedy hatte angesichts einer weltweit drohenden nuklearen Weiterverbreitung am 25. September 1961 bei einer Rede vor den Vereinten Nationen (VN) erklärt:

 

"Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind lebt unter einem nuklearen Damoklesschwert, das an einem seidenen Faden hängt, der jederzeit zerschnitten werden kann durch Zufall, Fehlkalkulation oder Wahnsinn."[8]


In der Tat gibt es auf der Erde keine andere Waffe mit annähernd gleichem Zerstörungspotenzial. Die heutige, dritte Generation von Nuklearwaffen verfügt über die tausendfache Zerstörungskraft der Hiroshima-Bombe und kann eine Großstadt zerstören.[9] Im Gegensatz zu konventionellen Waffen werden drei Wirkungen erzeugt, gegen die es keine direkte Verteidigung gibt: enorme Hitze, eine Druckwelle und tödliche Gammastrahlung.[10] Die indirekten Zerstörungswirkungen sind lang anhaltender radioaktiver Fallout, der sich über eine große Fläche verteilen kann, sowie je nach Explosionshöhe klimatische Folgen,[11] die globale Kaskadeneffekte wie Temperatursturz und daraus folgend Missernten, Ernteausfälle und Hungersnöte von apokalyptischem Ausmaß hervorrufen können.[12]

 

Nach Ende des Ost-West-Konfliktes wird ein globaler Atomkrieg mit einer großen Anzahl von Nuklearwaffen als unwahrscheinlich angesehen. Dennoch werden vier Szenarien diskutiert, in denen Nuklearwaffen zum Einsatz kommen könnten:

  1. Bei einem Unfall könnte es zu einer Kettenreaktion oder einer Freisetzung von Nuklearmaterial kommen. Während des Kalten Krieges hat es Dutzende von Unfällen gegeben, bei denen nur mit Mühe eine Nuklearexplosion verhindert werden konnte.[13]
  2. Auch ein Nukleareinsatz "aus Versehen" durch Falschinformationen und Fehlkalkulationen ist angesichts vieler stationierter Nuklearwaffen nicht ausgeschlossen.
  3. Wenn es gelingt, nuklearwaffenfähiges Material aus dem zivilen oder militärischen Brennstoffzyklus abzuzweigen, können "Terroristen" eine "primitive Nuklearwaffe" bauen oder eine radiologische Bombe zur Explosion zu bringen. Die nuklearen Altbestände der Supermächte sind eine Quelle mit einem hohen Proliferationsrisiko.[14]
  4. Ein regionaler Nuklearkrieg zwischen zwei verfeindeten Staaten wie Indien und Pakistan erscheint ebenso möglich wie der Diebstahl einer intakten Nuklearwaffe oder von waffenfähigem Material in einem zerfallenden Staat. Insbesondere die innenpolitische Lage von Pakistan gibt Anlass zur Sorge.[15]

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Anmerkungen: 

8. Address before the General Assembly of the United Nations, 25.9.1961, »http://www.jfklibrary.org/Asset-Viewer/Archives/JFKPOF-035-048.aspx« (13.7.2014).

 

9. Vgl. Richard L. Garwin/George Charpak, Megawatts and Megatons. A Turning Point in the Nuclear Age?, New York 2001.

 

10. Zusätzlich kann bei einer Höhenexplosion ein elektromagnetischer Impuls die elektronische Infrastruktur eines großen Areals lahmlegen. Vgl. Samuel Glasstone/James Dolan, The Effects of Nuclear Weapons, Washington D.C. 1962, S. 1–12, S. 547–554.

 

11. Vgl. Owen B. Toon/Alan Robock/Richard P. Turco, Environmental Consequences of Nuclear War, in: Physics Today, 61 (2008) 12, S. 37–42.

 

12. Vgl. Ira Helfand, Nuclear Famine: A Billion People at Risk, Global Impacts of Limited Nuclear War on Agriculture, Food Supplies, and Human Nutrition, o.O. 2012.

 

13. Vgl. Eric Schlosser, Command and Control: Nuclear Weapons, the Damascus Incident, and the Illusion of Safety, New York 2013.

 

14. Vgl. Michael Brzoska/Götz Neuneck, Vagabundierende Atomwaffen? Das sowjetische Arsenal nach 1991, in: Bernd Greiner/Tim B. Müller/Klaas Voß (Hrsg.), Erbe des Kalten Krieges, Hamburg 2013, S. 274–292.

 

15. Vgl. Mark Fitzpatrick, Overcoming Pakistan’s Nuclear Dangers, London 2014.

 

Quelle: www.bpb.de/apuz/190113/nukleare-nichtverbreitung-ruestungskontrolle-und-abruestung?p=all

 

Autor: Prof. Dr. Götz Neuneck „Das nukleare Damoklesschwert“, in: „Aus Politik und Zeitgeschichte“ 35-37/2014, Aug 2014, Seite 19