Die gesundheitlichen und humanitären Argumente für das Verbot und die Eliminierung von Atomwaffen
Der offenen Arbeitsgruppe (Open-Ended Working Group OEWG) vorgelegtes Arbeitspapier zur Weiterführung der multilateralen Atomwaffen-Abrüstungsverhandlungen
Mai 2016
Die gesundheitlichen, ökologischen und humanitären Aspekte von Atomwaffen und die Konsequenzen ihres Einsatzes standen im Mittelpunkt von drei kürzlich abgehaltenen internationalen Konferenzen – in Oslo, Norwegen (2013), Nayarit, Mexiko (2014) und Wien, Österreich (2014). Die Beweise, die auf allen drei Konferenzen zu den Humanitären Folgen von Atomwaffen (Humanitarian Impact of Nuclear Weapons HINW) präsentiert wurden, wurden im Jahr 2015 der NVV-Überprüfungskonferenz und dem Ersten Ausschuss der UNO während der 70. Sitzung der Generalversammlung vorgelegt und sind der Anlass zur Gründung dieser offenen Arbeitsgruppe.
In diesem Papier stellen wir erneut die wichtigsten Folgen für die Gesundheit und die Umwelt zusammen. Wir erklären: erstens, warum - aus medizinischer Sicht - ein vollständiges Verstehen dessen, was Atomwaffen anrichten werden, alle Argumente für einen weiteren Besitz dieser Waffen entkräften wird; und zweitens: warum es dringend erforderlich ist, dass die Atomwaffen verboten und vernichtet werden - als einzig mögliche und ihrer existentiellen Gefahr angemessenen Handlungsweise.
Beweise
Die Detonation von Atomwaffen produziert alles verzehrende Hitze, kräftige Schockwellen, Überdruck, ionisierende Strahlung und massive Mengen von Rauch und Ruß, die das Klima auf der gesamten Erde verändern können. Anders als konventionelle Waffen oder andere Massenvernichtungswaffen löschen Atomwaffen auf der Stelle die ganze Bevölkerung eines Ortes aus, Städte werden dem Erdboden gleichgemacht und die Umgebung zerstört. Sie produzieren eine radioaktive Verseuchung, die tausende von Jahren anhält und Krebs sowie andere Erkrankungen erzeugt, die über Generationen vererbt werden. Die Auswirkungen eines Atomkrieges auf die Umwelt, einschließlich ernsthafter Klimastörungen, können darüber hinaus zu einer weltweiten nuklearen Hungersnot oder im extremsten Fall sogar zur Ausrottung der Menschheit führen. Es kann keine sinnvolle medizinische Hilfe und keinen Katastrophenschutzplan bei der Explosion einer Atomwaffe geben.
1) Keine andere Waffe, die jemals erfunden wurde, kann so schnell und in einem solch katastrophalen Ausmaß so viel Tod und Zerstörung bewirken oder eine solch ausgedehnte und dauerhafte Vergiftung der Umwelt erzeugen. Eine einzige Atombombe kann eine ganze Stadt zerstören und die meisten ihrer Bewohner töten, wie wir es auf tragische Weise in Hiroshima und Nagasaki erlebt haben. Die Druckwelle mit dem damit verbundenen Überdruck sowie Wind in Orkanstärke lassen bis auf die solidesten Häuser fast alle Gebäude zusammenstürzen, zerstören Straßen und andere Beförderungssysteme und verwandeln nicht befestigte Objekte (einschließlich menschlicher Opfer) in Geschosse, die die Zerstörung noch vergrößern, bis außer Schutt nichts mehr übrig ist. Eine kleine Zahl von atomaren Explosionen über modernen Großstädten könnte Menschen in zweistelliger Millionenhöhe töten. Ein Atomkrieg mit den derzeit existierenden Waffen könnte so an einem einzigen Tag mehr Menschen töten als während des gesamten zweiten Weltkriegs umgekommen sind.
2) Atomwaffen setzen als Folge einer unkontrollierten Kettenreaktion von spaltbarem Material ionisierende Strahlung frei. Ist man dieser Strahlung ausgesetzt — den Fallout von Atomwaffentests eingeschlossen — verursacht dies akute und langwierige Krankheiten, die oft tödlich verlaufen, sowie genetische Veränderungen und generationsübergreifende Gesundheitsstörungen. Die akute Strahlenkrankheit führt innerhalb von Stunden, Tagen oder Wochen zum Tod; diejenigen, die sich erholen, bleiben für Monate oder sogar Jahre krank. Geringere Dosen der radioaktiven Strahlung können sogar noch viele Jahre nach der Verstrahlung Leukämie, Schilddrüsen- und viele andere Krebsarten sowie weitere chronische Erkrankungen wie z.B. Herzkreislauferkrankungen hervorrufen.
Infokasten: Folgen von Atomwaffen und Atomkrieg
Menschen, die Strahlung ausgesetzt waren, haben lebenslang ein erhöhtes Krebsrisiko. Die Strahlung verursacht außerdem Geburtsfehler und eine Veränderung des Erbguts. Nachfolgende Generationen können sowohl unter den Gendefekten, die sie geerbt haben, als auch unter der fortdauernden Kontamination und dem Fallout leiden. Es ist mittlerweile ein dauerhaftes globales Problem, dass Menschen der gefährlichen ionisierenden Strahlung ausgesetzt werden, wegen des andauernden Fallouts von oberirdischen Atomtests, der radioaktiven Verseuchung von Land und Wasser rund um die ehemaligen Testgebiete, von Fabriken, in denen Atomwaffen produziert werden, sowie von den Atommülllagern.
3) Ein durch die Detonation ausgelöster elektromagnetischer Impuls zerstört das Stromnetz sowie elektronische Ausrüstung und Systeme einschließlich der Computer, medizinischen Geräte und der Satellitenkommunikation. Als Auswirkung eines Atomkrieges wird wahrscheinlich sämtlicher internationaler Reiseverkehr, u.a. Züge und Flugzeuge, für unbestimmte Zeit zusammenbrechen. Weltweit würde die elektronische Kommunikation als Folge des elektromagnetischen Impulses ausfallen. Die gesamte Weltwirtschaft würde ernsthaft beeinträchtigt.
4) Die Detonation von Atomwaffen hat extreme und langwierige Konsequenzen für die Umwelt, die eine Zerstörung des globalen Klimas und der weltweiten Agrarproduktion einschließen. Weniger als ein Prozent der heute weltweit existierenden Atomwaffen könnte das Weltklima massiv beeinträchtigen und eine nukleare Hungersnot auslösen. Schon allein die tausende Atomwaffen der USA und Russlands könnten einen nuklearen Winter erzeugen, der das lebensnotwendige Ökosystem zerstören würde.1 Auch ein regional begrenzter Konflikt mit nur 100 Atombomben der Hiroshima-Größe würde das Klima der Erde und die Landwirtschaft für zwei Jahrzehnte oder mehr beeinträchtigen. Die globale Durchschnittstemperatur würde für fünf Jahre um 1,6°C sinken, nach 10 Jahren immer noch 1,1°C kühler und sogar nach 26 Jahren noch nicht zur Ausgangstemperatur zurückgekehrt sein. Die weltweite Niederschlagsmenge würde sich um 10% verringern mit lokalen und regionalen Abnahmen von 30-40% oder mehr in den gemäßigten Getreideanbaugebieten von Nordamerika und Eurasien.2,3,4 Die Wachstumsperioden würden in den wichtigsten Getreideanbaugebieten der Welt um bis zu 40 frostfreie Tage verkürzt. Die US-amerikanische Mais- und Sojabohnenproduktion würde z.B. in den ersten fünf Jahren um 15-20% sinken und um 10% in den nächsten fünf Jahren.
Infokasten: Nukleare Hungersnot/Nuklearer Winter
Ein durch einen Atomkrieg zwischen den USA und Russland verursachter Nuklearer Winter könnte zur Ausrottung der Menschheit führen
Die chinesische Mais-, Reis- und Winterweizenernte würde in den ersten fünf Jahren um 15-40% und um 10-25% in den folgenden fünf Jahren abnehmen.
Mehr als zwei Milliarden Menschen würden wegen einer solchen nuklearen Hungersnot sterben, davon 795 Millionen Menschen – hauptsächlich auf der Südhalbkugel – die bereits heute chronisch unterernährt sind. Unterernährte Menschen haben eingeschränkte Immunfunktionen und damit verringerte Widerstandskräfte gegen Krankheiten, so dass alle Hungersnöte unweigerlich von Epidemien und Infektionskrankheiten begleitet werden. Hungersnöte sind zudem mächtige Auslöser für soziale Unruhen und gewalttätige Konflikte sowohl innerhalb eines Staates als auch zwischen Nationen. Diese Faktoren werden die Zahl der Todesopfer durch einen regionalen Atomkrieg wahrscheinlich noch erhöhen, besonders da die Effekte weit verbreitet sein und über viele Jahre anhalten werden. Zusätzlich zu den direkten landwirtschaftlichen Verlusten würde der Ozonabbau in der Stratosphäre zu hohen Zuwächsen von ultravioletter (UV) Strahlung führen – ein Anstieg von 30–100% im Sommer außerhalb der Tropen, was die Gesundheit von Mensch und Tier gefährdet und darüber hinaus weltweit Ernten und das Ökosystem der Meere schädigt.
Ein Krieg, in dem die größten Atomwaffenarsenale zum Einsatz kämen, würde 50-150 Tonnen Rauch und Ruß produzieren. Die durchschnittliche Erdtemperatur würde um 8°C sinken – diese Temperaturen gab es seit den kältesten Tagen der letzten Eiszeit vor ungefähr 18.000 Jahren auf der Erde nicht mehr. Drei Jahre lang würde es nicht einen einzigen frostfreien Tag in den gemäßigten Zonen der nördlichen Hemisphäre geben. Die Landwirtschaft würde zum Erliegen kommen, die menschliche Zivilisation ausgelöscht werden, Ökosysteme würden zusammenbrechen und viele Arten, vielleicht sogar unsere eigene, würden ausgerottet.
Atomwaffen zerstören die räumliche und soziale Infrastruktur, die notwendig ist, um sich von einem Konflikt zu erholen. Als Nachwirkung einer Atombombenexplosion wären alle Ärzte und Pflegekräfte ebenso getötet oder schwerverletzt wie der Rest der Bevölkerung. Krankenhäuser, Kliniken und andere medizinische Einrichtungen wären zerstört oder unbenutzbar. Medikamente, Blut für Transfusionen, Diagnosegeräte, jegliche Grundversorgung wären unerreichbar. Es gäbe kein Wasser, keinen Strom, keine Beförderungsmittel und keine Kommunikationssysteme mehr. Die Straßen wären unpassierbar und das Gelände nicht wieder zu erkennen. Überall lägen Leichen, Verletzte und Sterbende. Es wäre unmöglich, Pflegekräfte zu finden, die unter diesen Umständen anderen Überlebenden helfen könnten. Das gefährlich hohe Strahlungsniveau würde Rettungsteams davon abhalten, die betroffenen Gebiete auf der Suche nach Überlebenden zu betreten. In Hiroshima wurden 90% der Ärzte und des Pflegepersonals getötet oder verletzt, 42 von 45 Krankenhäusern waren unbrauchbar. Die wenigen Ärzte, die von außerhalb nach Hiroshima und Nagasaki kamen, mussten ohne Ausrüstung, Blutvorräte, Medikamente oder andere Hilfsmittel, die man für eine erfolgreiche Behandlung benötigt, auskommen. Die IPPNW, das ICRC (Internationales Rote Kreuz) und andere internationale Organisationen, die mit Notfall- und Katastrophenhilfe befasst sind, kommen zum gleichen Ergebnis: eine sinnvolle und menschliche Soforthilfe für die Überlebenden eines Atomangriffes ist unmöglich! Keinerlei humanitäre Hilfe könnte mit der schrecklichen Zerstörung oder der sehr schnell wachsende Zahl der Toten und Verletzten und deren Leid fertig werden.
Atomwaffen haben eine unterschiedslose Wirkung. Sie können nicht zwischen militärischen und zivilen Zielen oder zwischen Kampftruppen und unbeteiligten Zivilisten unterscheiden. Gemäß dem Ersten Zusatzprotokoll des Genfer Abkommens von 1977 sind unterschiedslose Angriffe verboten und werden als Verletzung des humanitären Völkerrechtes (International Humanitarian Law IHL) geahndet. Diese Entscheidung wurde vom Internationalen Gerichtshof (International Court of Justice ICJ) 1996 durch sein Gutachten über die Illegalität von Atomwaffen bekräftigt.
Ob Atomwaffen während eines Krieges gegen die Bevölkerung eingesetzt werden oder nicht, sie verursachen weitreichenden Schaden für Gesundheit und Umwelt. Jahrzehnte von über- und unterirdischen Atomtests führten zu Krebs, Geburtsfehlern und anderen strahlungsbedingten Krankheiten bei Millionen Menschen weltweit. Abbau und Bearbeitung von Uran, dem Grundstoff der Atomwaffen, haben ernsthafte und langwierige Konsequenzen für die Mitarbeitende, Gemeinden in der Nähe von Minen und Fabriken sowie die Umwelt. Arbeiter in Atomwaffenanlagen tragen ernsthafte und kräftezehrende Gesundheitsschäden davon, weil sie berufsbedingt spaltbaren Materialien und giftigen Chemikalien, die bei der Herstellung und Wartung von Atomwaffen genutzt werden, ausgesetzt sind.
Der Internationale Gerichtshof stellte fest: „die zerstörerische Kraft der Atomwaffen kann weder durch Raum noch Zeit bezwungen werden. Sie hat das Potential, alle Zivilisation und das gesamte Ökosystem des Planeten zu zerstören.“
Rechtliche und politische Zusammenhänge
Seit der Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki im August 1945 haben Ärzte, das öffentliche Gesundheitswesen und die internationalen Hilfsgemeinschaften verstanden, dass es keine sinnvolle Reaktion auf die schreckliche Verwüstung geben kann, die von Atomwaffen erzeugt wird. Jede existierende Hilfsorganisation wäre durch das Ausmaß der Verwüstung völlig überfordert, und weder zusätzliche Planung noch erhöhte Ausgaben für verbesserte Leistungsfähigkeit würden diese Realität verändern. Aufgrund dieser Erkenntnis haben wir die Verantwortung zu verhindern, was nicht geheilt werden kann. Das Verbot und die Vernichtung von Atomwaffen ist der einzige Weg, ihren Einsatz zu verhindern.
Die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) sind nicht die einzigen, die diesen Standpunkt als humanitären Imperativ festlegen. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) – die bedeutendste Hilfsorganisation der Welt – forderte bereits im September 1945, wenige Wochen nach den Atomwaffenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki, dass Atomwaffen verboten werden müssen. Unter den ersten Helfern, die das Leiden und die Verwüstung in diesen beiden Städten miterlebt haben, waren Ärzte des Roten Kreuzes, wie Marcel Junod. Sie erklärten den Vertragsstaaten der Genfer Konvention 1950: „die unvermeidbare Konsequenz [von Atomwaffen] ist schlicht und einfach ihre Vernichtung.“ Im November 2011 appellierte der Delegiertenrat der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung an alle Staaten „das Ziel in redlicher Absicht zu verfolgen und in aller Dringlichkeit und Entschlossenheit Verhandlungen zu beginnen, um den Einsatz der Atomwaffen durch einen rechtlich bindenden internationalen Vertrag zu verbieten und vollständig zu vernichten, der auf bereits bestehenden Abkommen und internationalen Verpflichtungen basiert.”7 Auf der Wiener Konferenz über die humanitären Folgen von Atomwaffen im Jahr 2014 erklärte der Leiter für Internationales Recht und Politik des ICRC: „Die neuen Beweise für die humanitären Folgen von Atomwaffen, die sich in den letzten zwei Jahren ergeben haben, werfen weitere Zweifel auf, ob diese Waffen jemals in Übereinstimmung mit den Regeln des gebräuchlichen humanitären Völkerrechts eingesetzt werden können.”
1984, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges zwischen den USA und der ehemaligen Sowjetunion, kam die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu dem Schluss, dass Ärzte und Wissenschaftler „sowohl das Recht als auch die Pflicht haben, aller schärfstens darauf aufmerksam zu machen, zu welch katastrophalen Folgen jeglicher Einsatz von Atomwaffen führen würde.” Die WHO stellte sogar fest, „der einzige Behandlungsansatz für die medizinischen Folgen von Atomexplosionen wäre die primäre Prävention solcher Explosionen, das heißt also die primäre Prävention von Atomkriegen.”
In den Jahren 1998, 2008 und zuletzt 2015 verurteilte der Weltärztebund Atomwaffen, wobei er „das immense menschliche Leid (…), katastrophale Auswirkungen auf das Ökosystem der Erde (…) [und] das Risiko von Hungersnöten” anführte und darauf drängte, dass Regierungen „daran arbeiten, Atomwaffen zu ächten und zu eliminieren.”10 Im Laufe der Jahre haben die US-amerikanische Ärztekammer (American Medical Association), die britische Ärztekammer (British Medical Association), die australische Ärztekammer (Australian Medical Association), das medizinische Institut der USA (US Institute of Medicine), die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaft (Royal Swedish Academy of Sciences) und andere Organisationen die einzigartigen Gefahren von Atomwaffen und Atomkrieg dokumentiert und sich als Gesundheitsexperten in den Kampf für nukleare Abrüstung eingereiht.
Die Generalversammlung des Internationalen Dachverbandes für Gesellschaften des öffentlichen Gesundheitswesens (World Federation of Public Health Associations) forderte 1997 zur Abschaffung der Atomwaffen auf und machten geltend, dass sie eine Bedrohung für die Gesundheit und das Überleben der menschlichen Zivilisation sowie die globale Umwelt seien.
Bereits 1975 erklärte der Internationale Rat der Pflegeberufe (International Council of Nurses ICN) den Waffengebrauch einschließlich der Atomwaffen für verabscheuungswürdig und rief seine Mitglieder, die nationalen Berufsverbände der Pflegekräfte, dazu auf, die internationalen Anstrengungen zur Vernichtung von Atomwaffen zu unterstützen. In seinem aktuellen Positionspapier stellt der ICN fest, dass „Tod, Verletzung und Verwüstung, die durch den Einsatz dieser Waffen entstehen, die Hilfskapazitäten des Gesundheitsfürsorgesystems überschreiten (…) wegen der Zerstörung und Verseuchung von Lebensmitteln, Wasserversorgung, Zufluchtsmöglichkeiten, medizinischer Einrichtungen sowie von Beförderungsmöglichkeiten und Kommunikationsnetzen.“
Chemische Waffen (z.B. Senfgas und Sarin) und biologische Waffen (z.B. Anthrax und Pest) werden ebenfalls als Massenvernichtungswaffen bezeichnet. Aber obwohl diese Waffen ebenfalls unmenschlich sind und unterschiedslos ihre Opfer wählen, können sie nicht in dem Umfang und mit der Intensität einer Atomwaffe töten. Sie erzeugen auch nicht die Verwüstung, Umweltzerstörung und die anhaltende Toxizität, die für zukünftige Generationen für alle Lebewesen bestehen bleibt. Das macht Atomwaffen 6 so einzigartig. Chemische und biologische Waffen, Landminen und Streumunition wurden durch internationale Verträge geächtet. Obwohl das Völkerrecht eine klare Grundlage und sogar Verpflichtung für die Vernichtung der Atomwaffen bietet, sind sie trotzdem noch nicht offiziell verboten. Ein Verbotsvertrag würde diese Gesetzeslücke schließen und wäre ein wichtiger Schritt hin zu ihrer Abschaffung.
Die über Atomwaffen verfügende Staaten und andere, die behaupten, zu ihrer Sicherheit auf die Arsenale der Atomwaffenstaaten angewiesen zu sein, haben Einspruch gegen den Vorschlag für einen Verbotsvertrag eingelegt mit der Begründung, dass damit die Abschreckung unmöglich würde – der einzig verbliebene Zweck, der Atomwaffen zugeschrieben wird, um so den Besitz, die Stationierung und möglicherweise sogar ihren Einsatz zu rechtfertigen. Sie haben Recht. Das Prinzip der atomaren Abschreckung, das darauf beruht, dass man die Waffen tatsächlich einsetzt, würde durch einen internationalen Vertrag, der Atomwaffen verbietet, völkerrechtswidrig. Nukleare Abschreckung ist unhaltbar, wenn man Atomwaffen mit dem Hauptaugenmerk auf die Folgen betrachtet.
Anders als bei der Abschreckung durch konventionelle Waffen, deren Versagen ebenfalls schreckliche Folgen haben kann, können wir es uns nicht leisten, dass die nukleare Abschreckung scheitert, weil die Konsequenzen unvorstellbar sind. Die nukleare Abschreckung wird früher oder später unvermeidlich fehlschlagen, denn die Geschichte des Krieges hat uns gelehrt, dass früher oder später Verzweiflung zu irrationalen Entscheidungen führt. Es gibt keine pannensicheren Systeme, weder technisch noch menschlich. Wir dürfen uns nicht in eine Lage bringen, in der die nukleare Abschreckung scheitern kann und der einzige Weg, das zu garantieren, ist es zu beschließen, den Einsatz von Atomwaffen unmöglich zu machen.
Der Zweck und die Durchführung der Abschreckung fallen zudem beim Menschlichkeitstest durch. Von einem humanitären Standpunkt aus betrachtet, bedeutet nukleare Abschreckung, seine Bereitschaft zu erklären, unterschiedslos Millionen von Menschen zu töten, die Ökosysteme der Erde irreparabel zu zerstören und Waffen zu entwickeln, die dieses Ergebnis liefern. Uns wird erklärt, dass nur eine glaubhafte Drohung, Atomwaffen einzusetzen, die Abschreckung effektiv macht, wobei die glaubhafte Androhung des Atomwaffengebrauches nichts anderes ist als eine globale Erpressung, die die ganze Welt zu Geiseln macht. Abschreckung ist, ungeachtet der Argumente, die Atomwaffenstaaten und atomwaffenabhängige Staaten auch vorbringen mögen, unvereinbar mit dem humanitären Völkerrecht. Nukleare Abschreckung jeglicher Form – einschließlich der erweiterten nuklearen Abschreckung – ist eine unmoralische und rücksichtslose Sicherheitsstrategie, die, als maßgeblicher Schritt in Richtung der Vernichtung von Atomwaffen, verboten werden muss.
Empfehlungen an den Ergebnis-offenen Arbeitskreis OEWG
Atomwaffen sind die schlimmsten Massenvernichtungsinstrumente, die jemals geschaffen wurden. Weil sie unentrinnbare, unterschiedslose und unverhältnismäßige Auswirkungen haben, verstoßen sie gegen das Völkerrecht. Die bei einer Detonation produzierte ionisierende Strahlung tötet Menschen durch die Strahlenkrankheit, während die radioaktive Kontamination der Umwelt Krebs, chronische Krankheiten, Geburtsdefekt und Schäden des Erbgutes verursachen. Eine einzige Atombombe kann eine ganze Stadt zerstören. Ein Atomkrieg, an dem die gewaltigen Arsenale der USA und Russlands beteiligt wären, könnte buchstäblich alles Leben auf der Erde in einem Nuklearen Winter auslöschen. Sogar ein kleiner Bruchteil der heute existierenden Atomwaffen kann das Weltklima und die globale Agrarproduktion so ernsthaft schädigen, dass Milliarden Menschen hungern müssten.
Die medizinischen und internationalen Hilfsgemeinschaften können auf die schreckliche Verwüstung durch die Atomwaffen nicht reagieren und keine Planung oder Ausgaben für eine verbesserte Leistungsfähigkeit kann diese Realität ändern.
So kraftvolle und zerstörerische Waffen gehören in die Hände von niemandem. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hat Recht, wenn er sagt, dass es keine richtigen Hände für die falschen Waffen gibt. Der einzige Weg, um den Einsatz von Atomwaffen zu verhindern, ist sie zu ächten und zu zerstören. Obwohl das Völkerrecht eine klare Grundlage für die Eliminierung von Atomwaffen bietet, sind sie bisher noch nicht formal verboten. Chemische und biologische Waffen, Landminen und Streumunition verursachen unakzeptables Leid und wurden deshalb durch Konventionen geächtet. Ein Vertrag, der Atomwaffen verbietet, würde diese Gesetzeslücke für die schlimmste aller Waffen schließen und das ist jetzt der beste und gangbarste Schritt in Richtung ihrer Eliminierung.
Obwohl die OEWG kein Verhandlungsgremium ist, hat sie doch eine Gelegenheit und ein klares Mandat, wesentliche Elemente eines neuen Rechtsinstrumentes vorzubereiten und zu empfehlen und den Weg für nachfolgende Verhandlungen zu bereiten. Die OEWG kann und sollte:
• Die Notwendigkeit eines neuen Vertrages geltend machen, der die derzeitige Gesetzeslücke füllt und explizit Entwicklung, Produktion, Testung, Erwerb, Lagerung, Verlegung, Aufstellung, Androhung des Einsatzes sowie den Gebrauch von Atomwaffen aufgrund ihrer inakzeptablen Konsequenzen verbietet.
• Sich mit Vorbereitungsarbeiten zu den Elementen eines solchen Vertrages beschäftigen, um abzuklären, wie sie auf existierende Normen aufgebaut werden, vorhandene Rechtsinstrumente untermauern und Hintertürchen des derzeitigen geltenden Rechtsregimes schließen können.
• Nochmals die Rechte von Menschen bestätigen, die durch Atomwaffen geschädigt wurden, einschließlich der Hibakusha von Hiroshima und Nagasaki, die weltweiten Opfer von Atomtests und Atomwaffenarbeiter, die unter einer Reihe von strahlenbedingten Krankheiten leiden.
• Ein Forum bereit stellen, in dem Staaten ohne Atomwaffen und die Zivilgesellschaft sich mit Atomwaffenstaaten und von ihnen abhängigen Staaten auseinander setzen können, mit der Aussicht, dass die Beweise für die humanitären Folgen die Forderungen, den Prozess und den Zeitplan der atomaren Abrüstung bestimmen.
Atomwaffen beschützen keinen und gefährden jeden. Wenn die Abschreckung unweigerlich versagt, werden die Opfer und die Verwüstung der Umwelt nicht nur die beteiligten Staaten betreffen sondern auch Länder auf anderen Kontinenten, deren Bevölkerung dem Tod durch nukleare Hungersnot ins Auge blickt. Das Leben von Jedem auf der Erde wäre durch einen nuklearen Winter gefährdet. Die durch den Atomkrieg vertriebene Bevölkerung wird eine Flüchtlingskrise schaffen, deren Größenordnung deutlich höher sein wird, als die, die heute nicht zu bewältigen scheint. Im schlimmsten Fall – einem Atomkrieg zwischen den Ländern mit den größten Waffenarsenalen – könnte das Leben von jedem Menschen auf der Erde im nuklearen Winter enden. Die Lektion, die wir aus den drei HINW-Konferenzen lernen sollten, ist, dass sehr viel auf dem Spiel steht und wir alle dabei verlieren können.
Als Gesundheitsfachkräfte haben wir nicht nur die Raucher über die Gesundheitsgefährdung aufgeklärt, wir haben auch Kampagnen durchgeführt, die das Rauchen am Arbeitsplatz, in Kneipen, Restaurants und anderen öffentlichen Plätzen verbietet, um die Nichtraucher zu beschützen. Wir haben nicht nur Informationen über die Folgen von Gewalt mit Schusswaffen zur Verfügung gestellt sondern auch Verbote und Handelsbeschränkungen unterstützt mit dem Ziel, Leben dadurch zu retten und Schusswaffen schlechter erhältlich zu machen. Der Erfolg dieser beiden und anderer Kampagnen mit erheblichen Ausmaß für die öffentliche Gesundheit hing von der gemeinsamen Initiative derer ab, die bereit waren, die Tabakkonzerne, die Schusswaffenhersteller und deren Lobbys herauszufordern. Die Welt von Atomwaffen zu befreien wird eine ähnliche – aber noch viel entschlossenere – Anstrengung von denen erfordern, die die Dringlichkeit, sie zu beseitigen, verstanden haben.
Die atomwaffenfreien Staaten und zivilgesellschaftlichen Gruppen, die sich an dieser Ergebnis-offenen Arbeitsgruppe beteiligen, haben die einzigartige Möglichkeit und gleichzeitig die Mitverantwortung, eine Führungsrolle bei der atomaren Abrüstung zu übernehmen. Sie können das Ziel, Atomwaffen zu verbieten und zu vernichten, auf der Grundlage der humanitären Aspekte neu definieren sowie konkrete und allgemein akzeptierte Messmethoden für die nukleare Abrüstung entwickeln. Damit können sie den Atomwaffenstaaten und den von Atomwaffen abhängigen Staaten einen besseren Weg zu einer atomwaffenfreien Welt anbieten als den ineffektiven und überholten, den sie derzeit benutzen.
IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War = Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges) ist ein unparteiischer Verband von nationalen medizinischen Vereinigungen aus 64 Ländern, der zehntausende von Ärzten, Medizinstudenten und anderen Beschäftigten in Heilberufen vertritt, die das allgemeine Ziel verfolgen, eine friedlichere und sichere Welt zu schaffen , ohne die Bedrohung durch die atomare Vernichtung . Der IPPNW wurde 1985 der Friedensnobelpreis verliehen.
WMA (The World Medical Association = Weltärztebund), umfasst 112 nationale Ärzteverbände und wurde 1947 gegründet. Die Mission der WMA ist es, der Menschheit durch das Streben zu dienen, das höchste internationale Niveau bei der medizinischen Ausbildung, Forschung, Kunstfertigkeit und Ethik sowie die medizinische Versorgung für alle Menschen der Welt zu erreichen.
WFPHA (World Federation of Public Health Associations = Internationaler Dachverband für-Gesellschaften des öffentlichen Gesundheitswesens) ist eine international NGO, die mehr als 100 multidisziplinäre nationale Gesellschaften des öffentlichen Gesundheitswesen beinhaltet. Es ist der weltweit einzige Berufsverband, der das weite Feld der öffentlichen Gesundheit repräsentiert und versorgt. Sein Ziel ist es, weltweit das öffentliche Gesundheitswesen zu fördern und die allgemeine Gesundheit zu sichern.
ICN (The International Council of Nurses = Internationaler Rat der Pflegeberufe) ist ein Verband von mehr als 130 nationalen Berufsverbänden für Pflegekräfte (national nurses associations NNAs), die mehr als 16 Millionen Krankenschwestern und –pfleger weltweit vertreten. Die zentralen Werte des ICN beinhalten die Verbesserung und Bestätigung des Pflegeberufes und seinen Beitrag für die Gesundheit der Völker und ihre Gesundheitspolitik, sowie Gerechtigkeit und Gleichheit für die Gesellschaft und den Beruf zu erreichen.
Quellenangaben